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Sinn machen

"Sinn machen" ergibt schon Sinn

Im Eröffnungssatz der Zwiebelfisch-Kolumne "Stop making sense!" von Bastian Sick heißt es: "Seit einiger Zeit hat sich im deutschen Sprachraum eine Phrase breit gemacht, …". Von der Minderheitensprache Denglisch und grammatischem Unsinn ist dort die Rede. Und im weiteren Verlauf lesen wir: "Neuerdings hört man nur noch "Das macht Sinn", in der Negation "Das macht keinen Sinn" oder, im besten Kauderdeutsch: "Das macht nicht wirklich Sinn...". 

Herkunftsland dieser "Sprachmutation" sei "wieder einmal 'Marlboro Country', das Land, wo angeblich alles möglich ist, …". Hier äußert der Autor zu der englischen Redewendung "That makes sense" die Feststellung: "irgendwer hat es irgendwann zum ersten Mal verkehrt ins Deutsche übersetzt, …", und dass der Erfinder damit einen großen Hit gelandet habe.

Diese Argumentation ist so nicht haltbar. Ganz gleich, wer das womit zu belegen versucht. Denn es ist nichts weiter, als eine Vermutung. Sie ist zwar naheliegend, nachvollziehbar und klingt auch logisch, jedoch finden sich keine Belege, welche das bestätigen.

Kleiner Exkurs:

Nutzt man den Google Translator, sagt der immer dasselbe:

"Das macht Sinn" zu "That makes sense" und zurück zu "Das macht Sinn".

"Das ergibt Sinn" zu "That makes sense" und zurück zu "Das macht Sinn".

Ein ähnliches Ergebnis erhält man bei dict.cc

"Das macht Sinn" zu "That makes sense" und zurück zu "Das macht Sinn".

Aber

"Das ergibt Sinn" zu "It makes sense" und zurück zu "Es ist plausibel", "Es ist sinnvoll", "Es ergibt einen Sinn"

 

Wie dem auch sei.

Es gibt durchaus Quellen, welche nicht auf Spekulationen oder Meinungen beruhen, sondern auf dem gedruckten Wort. Und diese Quellen sind älter als jede Englisch-Deutsch-Übersetzung oder deutsche Rechtschreibregel, und älter noch als das erste deutsche Wörterbuch. Die älteste ist das Wort Martin Luthers (1483 - 1546), der in seiner "Auslegung deutsch des Vaterunsers, für die einfältigen Laien" sagt:

"Die weyse ist, das man wenig wort mache, aber vill und tieffe meinungen oder synnen"

("Martin Luther im Widerstreit der Konfessionen – Historische und theologische Perspektiven" Verlag Herder 2017, Seite 43),

und

"Die Weise ist, dass man wenig Worte mache, aber viel und tiefe Meinungen oder Sinne."

("Auslegung Deutsch des Vater Unsers, für die einfältigen Laien", Glaubensstimme.de)

Die zweite Quelle ist Gotthold Ephraim Lessing: "Ein Übersetzer muß wissen, was einen Sinn macht." heißt es in "Briefe, die neueste Literatur betreffend" (Erstdruck: Berlin und Stettin (Nicolai) 1759-1765, Seite 218),

und

"Hätte Muretus nicht vorher zeigen müssen, dass καθαριζειν λαμπρον και καλως keinen Sinn, oder wenigstens keinen guten Sinn machen?" ("Sämtliche Schriften - Briefe, die neueste Literatur betreffend", Berlin, in der Boß'schen Buchhandlung 1839, Sechster Band, Seite 302),

Vergleiche auch "Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm", [Bd. 16, Sinn II  22c (Sp.1149) ]

und

"Nun ist es wahr, daß dieses eigentlich keinen falschen Sinn macht; aber es erschöpft doch auch den Sinn des Aristoteles hier nicht." ("Hamburgische Dramaturgie", notiert am 8. März 1768)

Eine dritte Quelle ist kein geringerer als Johann Wolfgang von Goethe. In Band 2 seiner "Poetischen und prosaischen Werke" heißt es:

"Sie sind theils als Solo, Duett, Chor gesetzt und unglaublich original, ob man gleich sich erst einen Sinn dazu machen muß."

("Goethe's poetische und prosaische Werke, Band 2", Stuttgart und Tübingen, Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung, 1837, Seite 437)

Und schließlich noch eine vierte Quelle, welche zwar weiteren Aufschluss gibt, aber strittig ist:

"Wer ganz ohne Fehl ist, der werfe jetzt den ersten Zwiebelfisch. Er träfe bloß Luther, Lessing, Goethe. Übrigens hätte ein kleiner Blick herüber in das Wörterbuch der Gebrüder Grimm genügt (s.v. Sinn II, 21f., dort Zitate), um zu erfahren, woher das englische wie deutsche Sinn machen kommt, nämlich aus dem Mittellatein der Scholastik: "Sententiam facere", wie es tat "Petrus der maister Lampardus, der die sentencias machet, das ist das puch von hochen synnen zu teutsch". "Sentenz" als Meinung wie auch als Urteil – das macht schon Sinn." ("Bildungshäppchen auf der Schlachtplatte der Wissensgesellschaft" von Eckhard Freise, Universität Wuppertal, in "Allgemeinbildung in Deutschland – Erkenntnisse aus dem SPIEGEL-Studentenpisa-Test", VS-Verlag für Sozialwissenschaften, 1. Auflage 2020, Seite 17)

sententiam.png
facere.png

"sententiam facere" in "The Jews in Umbria", by Ariel Toaff, Volume One 1245-1435 (E.J.Brill, Leiden, New York, Köln 1993)

"sententiam facere" in "Geschichte der Regierung Ferdinand des Ersten – Aus gedruckten und ungedruckten Quellen" (herausgegeben von F.B. von Buchholz, Urkunden-Band, Wien, 1838, bei Schaumburg und Companie, Seite 221. Havard College Library)

 

Und selbst wenn die Herleitung aus dem mittellateinischen "sententiam facere" nicht eindeutig belegt werden kann, so ist doch offensichtlich, dass es sich beim "Sinn machen" nicht um eine fehlerhafte Übersetzung aus dem Englischen handelt, sondern in der deutschen Sprache bereits seit Jahrhunderten verwurzelt ist.

 

Zu guter Letzt sei hier noch der Duden als allgemein anerkannte Quelle genannt. Dieser publiziert in seinem Wörterbuch zum Begriff "Sinn" unter Bedeutungen, Punkt 4 unter anderem:

 

BEISPIELE

  • etwas ergibt [k]einen Sinn

  • etwas macht [k]einen Sinn (umgangssprachlich; etwas ergibt [k]einen Sinn, ist [nicht] verständlich, sinnvoll; nach englisch something makes sense)

Wobei auch hier auf das englische "makes sense" verwiesen wird. Damit wäre die Wendung "etwas macht [k]einen Sinn" eigentlich salonfähig.Vor allem, wenn wir uns das Gegenteil von "Sinn", den "Unsinn", anschauen. Hier ist es seit Generationen Usus, unseren Kindern zu predigen, sie sollen keinen Unsinn machen. Wer kennt nicht die Fragen: "Hast du wieder Unsinn gemacht?" oder "Was machst du da für einen Unsinn?" Und niemand käme auf die Idee, jemanden zu korrigieren, der diese Phrasen verwendet.

Der Duden sagt dazu unter Bedeutungen Punkt 3:

BEISPIELE

  • Unsinn machen, treiben

  • lass doch den Unsinn!

  • er hat nichts als Unsinn im Kopf

 

Wie auch immer: Wenn wir also Unsinn machen können, warum können wir dann keinen Sinn machen?

 

Doch vergessen wir nicht das Argument, dass es nicht möglich sei, Sinn zu machen, also ihn herzustellen, zu produzieren oder zu erschaffen. Ein Sinn ergebe sich von selbst und man könne sich nicht hinsetzen, um Sinn mal eben zu "bauen". Weil "Sinn" ein abstrakter Begriff sei, der sich im Gedanklichen, Theoretischen bewege und keinen unmittelbar feststellbaren Bezug zur Wirklichkeit habe. 

Der Duden listet zu dem Verb “machen” immerhin 20 Bedeutungen auf, wovon die Nummer 1b interessant sein dürfte:

verursachen, bewirken, hervorrufen u. a. (häufig verblasst)

 

BEISPIELE

  • jemandem Arbeit machen

  • Lärm machen (lärmen)

  • sich einen Fleck auf die Bluse machen

  • [großen] Eindruck machen (beeindrucken)

  • sich mit etwas Freunde, viele Feinde machen (erwerben)

  • Feuer, Licht machen

  • Musik machen (musizieren)

  • jemandem Sorgen, Freude machen (bereiten)

  • sich Sorgen machen (sich sorgen)

  • jemandem Mut machen (jemanden ermutigen)

 

Eindruck, Sorgen, Freude, Mut - das alles können wir ebenson wenig herstellen, produzieren, erschaffen oder bauen, wie den Sinn, sie sind ebenfalls abstrakte Begriffe. Aber nur beim “Sinn machen “wird darauf gepocht, dass es sich um einen “Übersetzungsanglizismus” handelt, weil es so simpel und wörtlich zu übersetzen ist: “makes macht sense Sinn”.


Aus dem “Protokoll des gleichnamigen Vortrags von Peter Eisenberg am 12.12.2007 an der Leibniz Universität Hannover.”
 

“Das Todesurteil über die Sprache als einem lebendigen Phänomen wird endgültig gefällt, sobald seitens unermüdlicher Sprachpuristen die Etymologie ins Feld geführt wird. So führt der eingangs erwähnte Publizist gegen den (vermeintlichen) Anglizismus "es macht keinen Sinn" ins Feld, das Verb "machen" könne nur mit Konkreta gebraucht werden, da es von einer germanischen Wurzel mit der Bedeutung "kneten" abstamme, und Sinn könne man nicht kneten. Allerdings sei, so Eisenberg, die Verwendung von "machen" mit Abstrakta bereits im Wörterbuch von Grimm belegt, so z.B. "das macht Freude". Ob es sich bei "es macht keinen Sinn" tatsächlich eine aus dem Englischen übernommene Lehnprägung handele, bleibe so lange eine unbeweisbare Behauptung wie das „Deutsche Textarchiv" als elektronisch erfasstes Nationalkorpus für das Deutsche (rückläufig vom 20. bis ins 16. Jahrhundert) noch nicht fertig gestellt sei, welches Aufschluss über Erstbelege liefern könne. Für einen vergleichbaren Stein des Anstoßes, nämlich "etwas erinnern" (engl. "to remember something") statt "sich an etwas erinnern" hingegen gebe es einen sehr frühen Beleg dafür, dass die Puristen den herrschenden Sprachgebrauch zu Unrecht einer übertriebenen Anglophilie bezichtigen: die erstgenannte Form sei bereits in der Lutherbibel belegt. Trügerisch sind solche Übernahmebehauptungen – sei es auf syntaktischer, sei es auf lexikalischer Ebene – allemal: so ist "Plaste" als Fachterminus aus der Chemie bereits in den 20er Jahren in Verwendung gewesen und hat sich nicht erst nach dem Zusammenbruch der DDR als Teil ihrer sprachlichen Erbmasse Eingang in den gesamtdeutschen Sprachgebrauch gefunden.”

 

Ich behaupte, das ist Gold. Es sieht aus wie Gold, glänzt wie Gold, also muss es Gold sein. Aber nachweisen muss ich das nicht. Wenn ich das behaupte, dann ist das so. Wer will an meinem Wort zweifeln. Ich kenne mich aus mit Metallen.

Dann kommt einer daher und sagt: "Es ist nicht alles Gold, was glänzt." Und zeigt verschiedene, voneinander unabhängige Beispiele auf, die diese Behauptung in ein anderes Licht rücken, ihr die Substanz nehmen. Aber niemand schenkt dem Beachtung, weil die Begründung, warum es Gold sei, viel zu simpel, viel zu naheliegend und vermeintlich viel zu offensichtlich ist. Darum werden die angeführten Beispiele zur Widerlegung der Behauptung in der Weise interpretiert, dass sie der Behauptung nicht mehr widersprechen.

 

Es gilt: "Behauptung + Begründung = Vermutung" oder "Behauptung + Begründung ≠ Wahrheit"

Die Rechnung "Behauptung + Begründung = Wahrheit" geht nicht auf.

 

Die 1. Behauptung: "es kommt aus dem Englischen" oder "es ist ein Übersetzungsanglizismus" o.ä. Die Begründung dazu: "es lässt sich wörtlich übersetzen" oder "es ist wörtlich übersetzt" o.ä. Das reicht nicht als Beleg. Denn es besteht die Möglichkeit, dass sowohl "Sinn machen" als auch "makes sense" den selben linguistischen Ursprung haben.

Die 2. Behauptung: "kommt in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts auf", "neuerdings", "Seit einiger Zeit" – Eine Begründung wird nicht gegeben und auch hier fehlen Belege. Und wird durch Lessing, Goethe und Luther widerlegt.

Und blind einem Bastian Sick (und seiner Zwiebelfisch_Kollumne) oder Max Goldt (und seinem "primitiven Übersetzungsanglizismus" in "Der Krapfen auf dem Sims", Seite 37) zu folgen und womöglich ihre Meinungsäußerungen ungeprüft zu übernehmen, halte ich für sehr fahrlässig und leichtgläubig.

Und Sicks Widersprüche in seinen Werken, werden u.a. hier aufgedeckt: "Widerspruch in Sick" (Man beachte hier vor allem die Passage vom "Sinn machen").

Eine Behauptung ist eine Behauptung ist eine Behauptung. Sie entstammt der Fantasie des Verfassers und wird nicht dadurch zur Wahrheit, dass sie ständig wiederholt, von anderen zitiert oder versucht wird, sie durch eine, wenn auch nachvollziehbare, Begründung zu untermauern. Sie wird nur dadurch zur Wahrheit, wenn sie durch nachprüfbare Fakten belegt werden kann. Und das ist hier nicht der Fall.

"Wenn Sinn machen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufkommt, …" – und das ist eine zweite, nicht belegte Behauptung bzw. Vermutung, die erst recht mit den Formulierungen Luthers, Lessings und Goethes widerlegt wird. Es ist eben nicht eine neuzeitliche, moderne, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgekommene Formulierung.

Dass hier die Argumentationen eines Peter Eisenbergs oder Eckhard Freises quasi als nichtig abgetan werden, mag ja mit etwas gutem Willen noch irgendwie verständlich wirken. Aber dass versucht wird, ein Jahrhunderte altes geschriebenes Wort beiseite zu wischen, indem deren Aussage "umgedeutet" wird, ist schon bemerkenswert.

Fazit:

 

Alle Gegner von "Sinn machen" schlagen in die gleiche Kerbe: Sie behaupten beharrlich, es sei dem Englischen "makes sense" entnommen - ein Übersetzungsanglizismus - und man könne das Verb "machen" nicht in Verbindung mit Abstrakta verwenden. Obwohl sie In beiden Fällen widerlegt werden. 

"Die Be­deu­tung des deut­schen Ver­bums machen nimmt nur einen Teil der Be­deu­tung ein, die das eng­li­sche to make besitzt."

("Stop Making Sense", Artikel auf Belles Lettres - Deutsch für Dichter und Denker - Videotutorials und Artikel zur deutschen Sprache,

Grammatik und Stilistik)

 

Diverse konsultierte Literatur und Webseiten:

"Sinn machen" wird niemals Sinn ergeben 

Warum "es macht Sinn" gerade keinen Sinn ergibt (Blog der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften)

Diskussion: Sinn (Wiktionary)

Widerspruch in Sick

Die Zwiebelfisch-Kollumne "Stop making sense"

Das macht Sinn Sinn machen: Anglizismus oder nicht?

Peter Eisenberg: Korrektes Deutsch! (Protokoll des gleichnamigen Vortrags von Peter Eisenberg am 12.12.2007 an der Leibniz Universität Hannover.)

Hier und hier zwei typische Diskussionen über "Sinn machen"

Liebe & Rum 2022

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